Die deutsche VOGUE entdeckt ihr grünes Gewissen

„Before it’s in fashion, it’s in Vogue“ – gilt das noch? Die deutsche Vogue wird 40 und bemerkt kurz vor der Menopause, dass sie ihre Seele an den zweitgrößten Umweltverschmutzer der Welt verkauft hat: die Modeindustrie. Das Ergebnis ist ein Heft, das es bestimmt gut meint. Und die Hoffnung, um die es hier wohl vorrangig geht, stirbt ja bekanntlich zuletzt. Eine kleine Heftkritik.

„Grün ist die Hoffnung“ prangt auf dem Titel der aktuellen April-Ausgabe der deutschen Vogue. Lasziv greift sich Gisèle Bündchen beherzt an die im Juli 2015 – so munkelt man – operierten Brüste, knietief in tosender und hoffentlich nicht allzu plastikverseuchter Meeresbrandung. Endlich ist sie da, die Vogue mit dem grünen Gewissen und „wahren Geschichten, die nicht von der Marketingabteilung gedichtet werden“, wie Chefredakteurin Christiane Arp im Editorial schreibt. Man möchte jubeln, denn Fashionistas mit echtem Mode-Bewusstsein, also der Liebe zu umwelt- und menschenfreundlicher Produktionskette, haben darauf schon lange gewartet. Spätestens seit dem Einsturz des Rana Plaza in Bangladesh wissen wir schließlich alle, wer für unseren wahnwitzigen Modekonsum wirklich die Zeche zahlt.
Wann war das noch mal? Ach ja, im April 2013. Verdammt lang her – aber seitdem verging kaum ein Monat ohne Horrormeldungen über Umweltsünden, Tierquälerei und menschenverachtende Arbeitsbedingungen, die allesamt auf’s Konto der Textilindustrie gehen. Auch kein Geheimnis: Luxusmarken, die fleißig in Vogue & Co. ihre Anzeigen schalten, sind trotz satter Preise kein Garant für Fairness und Freundlichkeit; jedenfalls nicht, wenn es um die Herstellung von Kleidern, Clutches und Kaschmirpullis geht.

Treue Anzeigenkunden werden bedient

Sei’s drum! Wir freuen uns auf unsere Vogue und entdecken gleich auf der ersten Seite – in diesem Fall Seite 41, denn vorab blättern wir uns ‘as usual’ durch dutzende Werbeseiten, unter anderem von Fendi, dem Luxuslabel für Pelz- und Lederwaren (ausgerechnet!) – die „Vogue-Favoriten“: Mit dabei ist eine Stella McCartney-Brille aus recyceltem Nylon und Eco Alter Nappa, ein Wäschebeutel, der Microplastik auffangen soll, sowie ein Hinweis zur Ausstellung „Sustainable Thinking“ in Florenz. Was hier die Kette mit Bienchenanhänger von Thomas Sabo zu suchen hat … stimmt, Bienen sind ja gerade „in“; außerdem hat Thomas Sabo eine Doppelseite Werbung (S.110/111) im Heft geschaltet.
Weiter geht’s mit nachhaltiger Mode von deutschen Designtalenten, für die sich Christiane Arp, Gründerin von „Vogue Salon“ und „Fashion Council Germany“, seit Jahren engangiert. Styles von Armedangels, Lara Krude, Rianna+Nina, Philomena Zanetti und vielen anderen werden hier puristisch aber wirkungsvoll in Szene gesetzt und es ist eine wahre Freude, hier die geballte Kreativität des jungen Modenachwuchses begutachten zu können.

Ist das Mode oder kann das weg?


Ein kleines Beauty-Feature über Hanfextrakte, Urlaubs-Oasen im Grünen, die sich zumindest für Europäer ohne den Klimakiller Flugzeug erreichen lassen, sowie ein kleines Porträt über Naturkosmetik von Kjær Weis machen Spaß. Erfrischend informativ und top recherchiert liest sich das Feature „Ist das Mode oder kann das weg?“ aus der Feder des wunderbaren Dennis Braatz und seiner talentierten Kollegin Bettina Pfau. Gleiches gilt für die im Anschluss geführten Interviews mit Javier Goyeneche von Ecoalf oder der Fashion Newcomerin und Upcycling-Expertin Priya Ahluwalia. Man merkt: Mode kann Freude machen, inspirieren und zwar ohne schlechtes Gewissen – auch und gerade in einem Hochglanz-Magazin wie der Vogue.
Und sonst? Eigentlich alles wie gehabt und typisch Vogue: Toll fotografierte Modestrecken, die leider absolut und rein gar nichts mit Nachhaltigkeit oder grünem Gewissen zu tun haben – außer den Titeln: Mit dabei „LANDtage“ mit dem Unterthema „Patchwork“, was ja grundsätzlich ökig klingt, „NATURgeschichten“ mit hinzulayouteten Blümchen oder „Down to EARTH“ mit High Fashion, die in karger Wüstenlandschaft, also in der Natur, geshootet wurde. Fast lustig wird’s mit „Back for good – Die Rückkehr der NATURtöne“; wohlgemerkt: hier geht’s nur um die Farbe, nicht um gute Materialien oder gar Herstellung.

Gisèle Bündchen als „pure Naturschönheit“

Die Krönung ist allerdings Gisèle Bündchen, die uns in der Fotostrecke „Making Waves“ allen Ernstes als „pure Naturschönheit“ verkauft wird, was natürlich ein Witz ist, wie die fleißige Leserin aus der Yellow Press weiß. Dass die Bilder, in denen sich das 39-jährige Topmodel mit klitschnasser Mähne auf düsteren Klippen räkelt, so fatal an die „Water & Oil“-Modestrecke erinnern, die Steven Meisel im August 2010 für die italienische Vogue inszenierte, kann kein Zufall sein. Auch hier wurde seinerzeit ein Statement gegen Umweltverschmutzung gesetzt, als Reaktion auf die Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko. Gemeinsam mit der damaligen, stets mutigen, inzwischen leider verstorbenen Chefredakteurin Franca Sozzani, sorgte Meisel für Furore und Aufregung auch jenseits der Vogue-Fangemeinde, denn die Fotos waren erschreckend schön und gleichzeitig gruselig. Jedenfalls nicht weichgespült à la Gisèle in „Making Waves“ am Strand von Costa Rica.
Wobei die pfiffige Location-Wahl eigentlich ein Lob verdient: Costa Rica gewinnt 100 Prozent seines Strombedarfs aus regenerativen Quellen, hat 27 Prozent seiner Fläche unter Naturschutz gestellt und seine Armee abgeschafft zugunsten der Förderung von Bildungs- und Gesundheitsprogrammen. Schade, dass sich hierzu kein redaktioneller Hinweis findet; vielleicht hätte der Leser/die Leserin gern mehr über die „Schweiz Zentralamerikas“ erfahren, für die Nachhaltigkeit kein nettes Accessoire sondern Alltag ist.

Links: Gisèle Bündchen in „Making Waves“ von Luigi + Iango. Vogue Deutschland, 04/2019 Rechts: Kristen McMenamy in „Water & Oil“ von Steven Meisel. Vogue Italia 08/2010

Männliche Mode-Millionäre mahnen zu mehr Credibility

Als Trost erfährt der Vogue-Leser so Einiges über männliche Modebranchen-Multimillionäre, die im Alter und mit dickem finanziellen Polster im Rücken ihre „grüne“ Ader entdeckt haben: Bruno Cucinelli etwa, der es vom Bauernsohn zum Mode-Milliardär gebracht hat, und dessen wichtigster Wert nun „Humanismus“ ist. Er schwadroniert: „Ich will, dass wir alle wieder an große Ideale glauben. Eigentlich will ich nur, dass wir wieder normal werden.“ Während sich der Leser ein Tränchen der Rührung aus dem Augenwinkel wischt, grübelt er verzweifelt, warum das italienische Designer-Label noch nicht mal namentlich im Nachhaltigkeits-Ranking des internationalen Sustainability-Portals „Rank-a-Brand“ gelistet wird.
Zum Ausgleich darf Jochen Zeitz, ehemaliger Puma-Chef und zeitweise bestbezahlter Manager, „Fragen ohne Antwort“ stellen. Dazu hat „das große Tier auf grüner Mission“ neben seinen vielen Nachhaltigkeits-Projekten, zum Beispiel einer Öko-Lodge auf dem Laikipia-Plateau, noch Zeit gefunden. Der Privatier und Philanthrop konnte sich bereits mit Ende 40 zur Ruhe setzen und will nun wissen: „Glauben Sie, dass wir in den kommenden Jahren auf fremde Lebensformen treffen?

Wo sind die ehrlich ambitionierten Fashion-Professionals?

Look at me!, dürften spätestens jetzt die vielen, ehrlich ambitionierten Modemenschen rufen, die täglich am Rande des Existenzminimums herumkrebsen, nur weil sie partout ihre gesamte Herstellungskette transparent und absolut nachhaltig gestalten wollen – und am Ende nicht mal die Kohle für eine anständige Anzeige in einem Hochglanzblatt übrig haben. Selber doof!?
Gern hätte man in der April-Vogue zumindest ein Interview mit dem großartigen Designer und Visionär Bruno Pieters gelesen, der sich seine Sporen einst bei Lacroix und Margiela in Paris verdient hat, bevor er die erste komplett transparente Highfashion-Marke Honest.by gegründet und vor rund einem halben Jahr wohl aus fianziellen Gründen wieder begraben durfte. Oder die Zürcher Upcycling-Pioniere Markus und Daniel Freitag, die sich selbst weniger Gehalt auszahlen als ihren Nähern. Wenigstens High-Class-Namen wie Stella McCartney, die nicht erst seit es modern geworden ist, auf nachhaltig macht, oder Vivienne Westwood, die für „Do it yourself“ statt noch mehr Klamotten-Shopping plädiert, hätte man in der Vogue gern porträtiert gesehen.

Weg mit dem „grünen Tarnmäntelchen”

Ja, ja, da engagiert sich eine Vogue-Chefredakteurin endlich mal für nachhaltige Themen und schon wird wieder gemosert. Dazu: Christiane Arp ist eine ganz wunderbare Chefredakteurin, die ihren Job seit 2003 engagiert ausfüllt. Ihr stets bescheidenes Auftreten, ihre klaren Statements und ihr Bemühen um ein besseres Image des Modestandortes Deutschland müssen unbedingt gewürdigt werden. Allein Arps Mut zu ungewöhnlichen, vermeintlich unpopulären Covermodels, wie erst jüngst die ungeschminkte Helene Fischer, aber auch der puristisch anmutende Relaunch des Magazins vor genau einem Jahr, zeigen, dass in der Münchner Chefredaktion fleißig gearbeitet wird, stets den Zeitgeist und nicht nur die Champagnergläser im Blick.
Beim Heft-Thema Nachhaltigkeit findet Christiane Arp in ihrem Editorial auch die richtigen Worte und mahnt zu mehr Echtheit ohne sich ein „grünes Tarnmäntelchen umzuhängen“. Der Inhalt des restlichen Heftes wirkt dann irgendwie halbherzig, wie gewollt und nicht gekonnt. Hat die Anzeigenabteilung vielleicht Druck gemacht? Wir wissen es nicht, hoffen aber auf noch mehr Mut, noch mehr Engagement und noch mehr Ehrlichkeit, gern in naher Zukunft.
Versöhnlich stimmt übrigens die allerletzte Vogue-Seite, in der sich Christiane Arp ein wenig geläutert sieht, als der Fotograf Alexi Lubomirski die Kreativbranche dazu auffordert, seine Macht zu nutzen und auf tierische Materialien zu verzichten. „Jetzt fühle ich mich schlecht, wenn ich an unser gemeinsames Pelzshooting vor einigen Jahren denke“, so Arp. Dazu Alexi Lubomirski: „Es geht nicht darum, sich wegen Vergangenem schuldig zu fühlen, sondern stolz auf das zu sein, was wir morgen machen.“ Na, dann …