H&M und Zalando im Recycling-Fieber

Hilfe, der Sustainability-Zug fährt gleich ab! Aber bestimmt nicht ohne die ganz großen Fashion Brands, die genug Man Power und Finanzpölsterchen im Rücken haben, um den vielen kleinen, transparent und ausschließlich nachhaltig produzierenden Marken nicht doch noch die Kundschaft abzutrotzen.

Man staunt – die ganz großen Textilgiganten geben sich in der Tat redlich Mühe, den Zeitgeist nicht zu verpassen, ihm womöglich sogar stets ein Schrittchen voraus zu sein. Nachhaltigkeit, Recycling, Upcycling & Co. gehören für die Vertikalen derzeit also zum „State of the Art“ und schmücken das Image.
H&M hat’s vorgemacht und wirft nun seine sage und schreibe siebte Conscious Collection auf den Markt. Neuester Dreh: Es wird den schwedischen Künstlern Karin und Carl Larsson und ihrer Sundborner Hütte „Lilla Hyttnäs“ gehuldigt, die mit ihren freundlichen Aquarellen und Deko-Ideen die sozialnationale Idylle Schwedens im ausgehenden 19. Jahrhundert beschworen haben. Ein hübscher Ansatz mit einer Prise Eskapismus, die uns mit seiner Bullerbü-Romantik ganz wunderbar von der unerfreulichen globalen Nachrichtenlage ablenkt.

Konkret werden in der neuen H&M-Kollektion innovative Recycling-Materialien eingesetzt, wie rezykliertes Silber, Econyl, Tencel und Bio-Leinen. Sogar ein weißes Hochzeitskleid aus regenerierten Fischernetzfasern haben die Schweden mit im Programm.
Um die Sustainability Credibility auf die Spitze zu treiben, wurde als Testimonial neben anderen das ehemalige Supermodel Christy Turlington Burns engagiert, zufällig auch Gründerin des Mutterhilfswerkes „Every Mother Counts“. Wir sind ehrlich gerührt …


H&M inszeniert seine neue Conscious Collection romantisch und feminin.

Ziemlich lässig – und natürlich auch total nachhaltig – kommt Zalando mit seiner neuesten Viktor&Rolf-Kooperation namens „RE:CYCLE“ daher. Seit Anfang Februar 2018 kann die 17-teilige Womenswear-Kollektion online bestellt werden und gilt als Weiterentwicklung der vergangenen Designer-Kooperationen des Berliner Versandhändlers. Die limitierten It-Pieces sind mit Applikationen aus recycelten Restbeständen des Hauses verziert und zeigen „neue künstlerische Wege, um aus Elementen der Vergangenheit etwas Neues zu schaffen“, wie Zalando verlauten lässt.
Allen Ernstes verkündet Jolanda Smit, Director of Group Brand Relations Marketing bei Zalando, dass „diese nachhaltigen Entwürfe zweifellos mehr als Haute Couture“ seien und preist außerdem Zalandos Selbstverständnis, „Fashion zum Wohle aller neu zu denken“ – bei einem Einstiegspreis von 50 Euro.

Man möchte sich glatt ein verschämtes Tränchen aus dem Augenwinkel wischen, ob so viel Gutmenschentum … wenn nicht gleichzeitig die Wut in uns hochkochen würde. Fashion zum Wohle aller? Wenn die Berliner da mal nicht Mutter Natur, die vielen Textilarbeiter oder auch DHL-Boten vergessen haben. Letztere vor allem, weil sie unter miserablen Bedingungen aber dafür schlechter Bezahlung für uns schuften. Die Auswirkungen von Chemie und Konsumwahn auf unsere Umwelt wollen wir nun nicht zum x-ten Mal beschwören.


Aus alt mach neu, heißt es bei Zalando. Oder etwa nicht?

Worum es also wirklich geht? Natürlich um noch mehr Klamotten, noch mehr Kunden und noch mehr Konsum! Denn seien wir ehrlich, nur ein Bruchteil der Kleider, Hosen und Konsorten aus den Textilfabriken von H&M, Zalando und anderen hat auch nur ansatzweise einen sustainable und fairen Background. Statt eines Umdenkens in Richtung Nachhaltigkeit und echter Transparenz, gilt weiterhin more is more und Quantität vor Qualität. Da kann der Verzicht auf Pelz oder exotisches Leder noch so plakativ in der Presse lanciert werden, am Ende des Tages soll der Rubel rollen – wenn auch nicht für alle.

Für alle Fashion-Freunde mit wahrem Mode-Bewusstsein bedeutet dies: Bloß nicht verrückt machen lassen, gern Designer (u.a. Dries van Noten, der sich H&M-Kooperationen hartnäckig verweigert) honorieren, die sich nicht vom schnöden Mammon locken lassen, weiterhin sorgsam auswählen und im Zweifel lieber auf die kleinen ehrlichen Marken setzen, die mit viel Herzblut tagtäglich ihre echte Liebe zum Produkt unter Beweis stellen.

Fotos: Emmet / Pexels, Mikael Jansson/H&M, Zalando

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