Schöne Menschen, schöne Landschaft, schöne Bilder … schlimmes Thema. Der Dokumentarfilm MODE.MACHT.MENSCHEN nervt – so könnte man meinen – mal wieder mit der ewigen Geschichte von zuviel Kleiderkonsum auf Kosten anderer. Der Filmemacher Patrick Kohl hat sich im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf nach Kambodscha gemacht, einem Land, in dem rund fünf Prozent der Bevölkerung für die Textilindustrie arbeitet.
Mit im Gepäck sind die beiden jungen und attraktiven Influencer Willy Iffland und Helen Fares. Letztere zeichnet sich zudem als Expertin für Hip Hop, Psychologie und Feminismus aus. Eine wilde Mischung, zugegeben, aber immerhin verfügen beide Protagonisten über ausreichend Insta-Follower um nicht nur die übliche nachhaltig bewegte Modemeute ins Kino zu locken, die ohnehin weiß, dass der Durchschnittsdeutsche die Hälfte seiner gekauften Kleider nie trägt und allein in Europa pro Jahr rund 5,8 Millionen Tonnen Klamotten im Müll landen.
Influencer und inszenierte Emotionen
Zielgruppe von MODE.MACHT.MENSCHEN dürften vor allem die vielen Fashionvictims sein, die den Schuss noch immer nicht gehört haben und sich lieber auf Instagram, Snapchat und TikTok tummeln als Nachrichten zu lesen und in der Woche drei Zalando-Pakte in Empfang nehmen, von denen die Hälfte wieder Retour geht. Und genau diese Klientel zieht es hoffentlich zuhauf zur Preview am 8. Oktober 2020 um 20.00 Uhr ins Filmtheater im angesagten Berliner Carré Friedrichshain. Regisseur Patrick Kohl und die Geschäftsführerin der Rosa-Luxemburg-Stiftung Daniela Trochowski stehen anschließend für Fragen bereit. Alle anderen Interessierten dürfen sich bis zum 11. November gedulden, denn dann werden die ersten drei Folgen des Achtteilers auf Youtube veröffentlicht; bis Mitte Dezember sind auch die restlichen fünf Episoden viral verfügbar.
Ein kleines Geschmäckle löst freilich schon der Trailer von MODE.MACHT.MENSCHEN aus, in dem Willy und Helen hübsch ausgeleuchtet in fernöstlichem Ambiente vor allem von sich erzählen. Der Zuschauer staunt über den Dornröschenschlaf, in dem sich insbesondere Streetwear-Influencer Willy wohl die letzten Jahre befunden hat, denn dass ihn in Kambodscha nicht nur happy people unter Palmen erwarten, ahnt er offenbar nur ansatzweise. Mit gequältem Gesichtsausdruck sieht man ihn später zusammengepfercht auf der Ladefläche eines Lkw neben unzähligen Textilarbeiterinnen hocken; der bezahlte Kambodscha-Urlaub relaxed also nicht wirklich. Neben beeindruckenden Kameradrohnenflügen über weite Felder und Fabrikdächer dürfen wir außerdem Helen und Willy begleiten, die sich traurige Lebensgeschichten kambodschanischer Arbeiterinnen anhören und hernach mit Tränen in den Augen Umarmungen und Klischeesprüche verteilen.
Willy in the jungle
Ja, man möchte mit den Augen rollen über soviel Naivität und Emotionen, die erschreckend inszeniert wirken. Aber wurscht! Zielgruppe der neuen Mode-Doku sind eben nicht die Experten von Fair Fashion und Verfechter eines nachhaltigen Modebewusstseins, sondern all die blauäugigen Billo-Fashion-Lovers, von denen es immer noch viel zu viele gibt.
Fazit: Filme über falschen Modekonsum, Egoismus und Kapitalismus kann es nicht genug geben. MODE.MACHT.MENSCHEN sollte daher via Social Media unbedingt seine Runden drehen und darüber aufklären, dass „mehr“ nicht immer „mehr“ bedeutet. Again what learned? Wer sich Willy Ifflands Instagram-Profil anschaut, bekommt es dennoch mit der Angst zu tun. Hat der Kambodscha-Trip bei ihm auch nur irgendwas bewirkt? Weiterhin postet er fast jeden Tag einen neuen Look. Vergangenen Mittwoch schreibt er gar zu seinem von Zalando (!) gesponserten Pic „Wednesday in the jungle“. Der „Jungle“ befindet sich allerdings in Leipzig, wie der smarte Influencer nett dazuschreibt – und ob der Willy den Wald vor lauter Bäumen womöglich noch immer nicht sieht, naja, das bleibt der Fantasie seiner Community überlassen.